PlusMinus Restwertbörsen

Wie Autoversicherer ihre Kunden mit fiktiven Angeboten austricksen

Autor: Jörg Lefèvre

Wer einen Unfall mit Totalschaden erleidet und den Wagen zum Gutachter-Preis an einen Händler gibt, erlebt immer häufiger eine böse Überraschung: Die Versicherungen ziehen hohe Beträge von ihrer Leistung ab, weil man das Unfallauto angeblich auch teurer hätte verkaufen können – über Restwertbörsen. Doch sind deren Angebote überhaupt real? [plusminus deckt die Hintergründe auf und kommt zu dem Ergebnis: Die Kunden sollen ausgetrickst werden.

Die Schadensregulierung
Fast jeder Autofahrer kennt das: Sie haben einen unverschuldeten Unfall, der Wagen ist nur noch Schrott. Sie lassen ein Gutachten machen. Darin steht als „Restwert“, was der Schrotthaufen noch wert ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zählt dabei nur, was Autohändler regional, also in Ihrer Umgebung noch dafür zahlen. Spezielle Auto-Aufkäufer irgendwo in Deutschland oder spezielle Märkte müssen nicht berücksichtigt werden. Den Restwert zieht die gegnerische Versicherung dann von der Schadensersatzzahlung ab. Je höher also der Restwert, um so besser für die Versicherung.

Ist der Restwert also unseriös hoch angesetzt, zahlt der bei einem Unfall unverschuldet Geschädigte in jedem Fall drauf. Zum Beispiel, wenn er sein Auto in einer Markenwerkstatt reparieren lassen will. Doch trotz der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes scheint es für die Fantasie mancher Versicherungen keine Grenzen zu geben, wenn es darum geht, die „Restwerte“ in den Gutachten und bei der Schadensregulierung hoch zu treiben.

Ein Beispiel
Gabriele Blank hatte gleich zweimal Pech: Erst fuhr ihr jemand in ihr zwei Wochen altes Auto, und dann gab es Ärger mit der Versicherung. 12.500 Euro sollte die Allianz laut Gutachten zur Schadensregulierung zahlen. Sie überwies aber nur 9.500 Euro. In einem Sachverständigen-Gutachten wurde der Restwert des Unfallwagens von Gabriele Blank mit 2.600 Euro beziffert. Doch das war der Versicherung zu wenig. Gabriele Blank:

„Nach einem Monat kam Post von der Versicherung, und da stand dann drin, ich hätte das Auto für 5.400 Euro verkaufen sollen, und das wollten sie mir dann von dem ganzen Wert abziehen.“

Als der Brief kam, hatte sie das Unfallauto aber längst bei ihrem Händler für einen neuen Wagen in Zahlung gegeben. Für 2.600 Euro, wie vom Gutachter errechnet. Das war ihr gutes Recht. Wegen der Kürzung der Versicherung schaltete sie einen Rechtsanwalt ein. Danach zahlte die Allianz zwar, verklagte nun aber den Gutachter Axel Breitfelder, der als freier Kfz-Sachverständiger tätig ist, auf Schadensersatz.

„Angeblich hätte ich den Restwert falsch respektive zu niedrig ermittelt, jetzt soll ich noch eine Dfferenzzahlung von 2.800 Euro an die Allianz zahlen.“ Auf unsere Frage, ob Breitfelder denn ein falsches Gutachten erstellt habe, lautet seine Antwort: „Ich habe selbstverständlich kein falsches Gutachten erstellt, sondern ich hab‘ den Restwert nach den Vorgaben oder den Empfehlungen des BGH ermittelt und den entsprechenden Mittelwert berücksichtigt.“

Die Geschäfte der Allianz
Die Allianz ließ nicht locker, wollte beweisen, dass der Restwert in dem Gutachten zu niedrig war. Deshalb stellte sie das Schrottauto in eine so genannte Restwert-Börse im Internet ein – drei Monate nach dem Unfall. Und bot es auch dem Autoverwerter Nagel in Wiesbaden an. Mit Erfolg: 5.500 € lautete das schriftliche Angebot der Firma Nagel, die öfter Schrottautos von der Allianz kauft. Seltsam dabei war aber schon, dass Nagel genau dieses Auto schon längst gekauft hatte, und zwar kurz nach dem Unfall. Aber nicht für 5.500 Euro, sondern für 2.700, wie der Kauf-Vertrag belegt.

Bleibt die Frage: Ist das neuerliche Angebot also nur ein nachträgliches Schwindelangebot, damit die Versicherung ihre Zahlung drücken konnte?

Die Rechtsprechung ist eindeutig
Ein Geschädigter darf sein Unfallauto laut Bundesgerichtshof sofort zu dem Restwert verkaufen, den ein seriöser Gutachter festgestellt hat. Auf spätere, angeblich höhere Angebote braucht er sich nicht mehr einzulassen. Deswegen wollen Versicherungen, dass bereits die Gutachter die oft viel höheren Angebote der Restwertbörsen berücksichtigen, berichtet der freie Kfz-Sachverständige Michael Gensert:

„Wir haben das mittlerweile sogar schriftlich. Man hat uns angeboten, die Restwertbörse künftig zu verwenden, um Regressverfahren aus dem Weg zu gehen, und dann könnte man sich auch in konkreten Fällen einigen.“ Frage: Halten Sie das für ein lauteres, ein seriöses Verhalten von der Versicherung? Michael Gensert: „Das ist sicherlich ein Sache, die man in den Grenzbereich der Legalität beziehungsweise an der Grenze zur Strafrechtsnorm einstufen könnte.“

Wer steckt hinter den Restwertbörsen im Internet?
Wir fahren nach Neuss. Dort soll die Firma „Auto-Online“ ansässig sein. Nach [plusminus-Informationen wurde diese Restwertbörse mit massiver Unterstützung einzelner Versicherungen gegründet. Doch unter der angegebenen Adresse finden wir kein Firmenschild. Lediglich auf dem Parkplatz ein kleiner Hinweis. Von hier werden Restwerte von Schrottautos „hochgeschaukelt“. Und das geht so: Ein Unfallauto wird ins Netz gestellt. Händler aus dem In- und Ausland können bieten – ohne das Auto überhaupt gesehen zu haben. Wie seriös diese Angebote sind, das kann keiner kontrollieren. Da erscheint es nur logisch, dass sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weder die Geschädigten noch die Gutachter darauf einzulassen brauchen.

Kaum zu glauben
Doch die Versicherungen präsentieren so im Nachhinein immer wieder Aufkäufer, sogar aus Litauen oder Polen, mit angeblich sehr hohen Angeboten. Manchmal soll ein Fahrzeug nach dem Unfall sogar mehr wert sein als vorher. Der freie Kfz-Sachverständige Helmut B. Faust erzählt aus der Praxis:

„Vor dem Unfall wies das Fahrzeug noch einen Wert von 3.400 Euro auf, in meinem Gutachte wurde ein Restwert in Höhe von 1.200 Euro beziffert. Der Geschädigte erhielt Nachricht vom Versicherer, dass für das Fahrzeug ein Rest in Höhe von 3.660 Euro geboten wurde. Somit war das verunfallte Fahrzeug mehr wert als zuvor im nichtverunfalltem Zustand.“

Ein Schelm, der böses denkt
Wir forschen weiter – und stoßen bei der Restwertbörse „Auto-Online“ auf eine Überraschung: Hauptgesellschafter ist die DEKRA mit 38%. Weitere Teilhaber: Zwei Autoverwertungsgesellschaften. Mehr als eine Million Unfallgutachten erstellt die DEKRA jedes Jahr – überwiegend im Auftrag der Versicherungswirtschaft. Mehrere tausend Gutachter arbeiten für die DEKRA. Sie sollen unabhängig und ohne Weisung urteilen – weder zu Gunsten der Geschädigten noch der Versicherungen.

Mit der Restwertbörse aber sollen die Preise hochgetrieben werden. Je höher der Restwert, desto geringer die Schadensersatzzahlung des Versicherers. Erklärungsversuche von Helmut Zeisberger von der DEKRA:

„Der Sachverständige ist für sein Gutachten und die Gutachten-Inhalte voll verantwortlich. Er hat die Empfehlung, auch den kompletten Markt zu berücksichtigen, und damit auch die Restwertbörse. Die Empfehlung kommt von der DEKRA-Hauptverwaltung aus der Erkenntnis heraus, dass der Markt heute einfach vielfältig gesehen werden muss.“

Der Geschädigte – zwischen DEKRA und Versicherung
Die DEKRA hat der Versicherungswirtschaft also zugesagt, dass sie bei ihren Gutachten die Einschaltung der Restwertbörse durchsetzen wird. Auch auf die Gefahr hin, dass dort reine Phantasiepreise geboten werden, die dann letztlich gar nicht gezahlt werden. Oder dass die Leistung der Versicherung nicht ausreicht, das Auto fachgerecht reparieren zu lassen. Für Hans-Jürgen Gebhardt, den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Verkehrsrechtsanwälte im Deutschen Anwaltsverein steht fest:

„Hier ist eindeutig, da wird der Geschädigte und gegen die Rechtsprechung des BGH über den Tisch gezogen, er wird ungerechtfertigt benachteiligt. Im Endergebnis führt dieses System dazu, dass er nur noch polnische Preise kriegt und polnische Reparaturart.“